reiß liest 12/11
reiß liest 12/11
Die Weihnachts-Ausgabe des Live-Literaturmagazins „Reiß liest...“. Mit den besten Büchern für ein katastrophenarmes Weihnachtsfest und schönen Überraschungen: ein aberwitziges Kinderbuch, ein herausragender Bildband über den Schwarzwald und ein Überraschungsgast: der Gitarrist und Singer/Songwriter Jeremiah Wood.
Und hier die vorgestellten Bücher:
1.Julia Franck: Rücken an Rücken, Frankfurt am Main 2011
(S. Fischer)
„Arbeit macht frei!“ - ein Ideal, das uns Deutsche bis heute nicht verlassen hat. Danach bewerten wir und werten ab. Darauf fußt unsere ganze Gesellschaft – daran glauben wir. Auch nach dem düstersten Kapitel unserer Geschichte, in dem wir dieses Ideal bis zur Perversion trieben und keinerlei Scham hatten, es über eines der Todeslager zu schreiben. Und selbst direkt nach dieser Zeit wurde dieses Arbeitsideal zur Ideologie für Menschen, die von einem neuen, besseren Deutschland träumten. Und wie oft waren die Leidtragenden die Kinder – so auch bei der Bildhauerin Käthe. Käthe – im Widerspruch mit sich selbst: als Künstlerin will sie anerkannt sein, aber gerade auch als hart Arbeitende, die leidenschaftlich für den im Werden begriffenden Arbeiter- und Bauernstaat eintritt. So fährt sie selber in den Steinbruch, bearbeitet hart und unnachgiebig jeden Quader und verrät dabei ihre eigenen Kinder. Schroff, kalt, herzlos und ausschließlich ihrer Ideologie verpflichtet, spricht sie ihren Kindern Ella und Thomas jeden Wunsch nach Aufmerksamkeit und Liebe ab. Rücken an Rücken, auf sich allein gestellt, versuchen sie sich zu tragen, gemeinsam zu ertragen: Ella, die auch mal trotzig aufbegehrt, und Thomas, der sich, auf der Suche nach Liebe, fügt. Nur schwer ertragen sie die Erniedrigungen und Gewalt. Und so flieht Ella in eine Krankheit und Thomas in die Liebe zu Marie. Zu spät? Ein Roman, der nachdrücklich berührt, aufrührt, umtreibt. Und der einen bis zur letzten Seite gefangen nimmt. Ein großartiges Buch von einer großartigen Autorin, die es schafft, bei aller Heftigkeit der Geschichte, daß der Leser sich dem Sog der Erzählung nicht entziehen kann.
2.Bibi Dumon Tak: Eisbär, Elch und Eule, Berlin 2011
(Aus dem Niederländischen von Meike Blatnik)
(Bloomsbury)
Lernen Sie auf außerordentlich amüsante Weise die Tiere des Nord- und Südpols kennen. Ein Kinderbuch? Vielleicht. Eher ein Buch für alle. Aberwitzig, urkomisch und leicht. Ein Nachschlagewerk über die Schnee- und Eisbewohner, das mit Vorurteilen und Irrtümern aufräumt – und einen schmunzelnd und laut lachend über den kalten Winter bringt. Und ein paar lustige Theorie über Männer und Frauen bereithält.
3.Olga Tokarczuk: Der Gesang der Fledermäuse, Frankfurt am Main 2011
(Aus dem Polnischen von Doreen Daume)
(Schöffling & Co.)
Die Tiere rächen sich! Davon ist die Protagonisten des neuen Romans von Olga Tokarczuk überzeugt. Mit kuriosen und schrulligen Theorien versucht sie die Polizei zu überzeugen. Durch wirre Briefe müssen sich die Beamten durchkämpfen. Aber sie läßt nicht locker! Und begründet viele ihrer Theorien auch mit Hilfe der Astrologie. Ein außerordentlich spannendes Winterbuch mit äußerst skurrilem Witz und ein flammendes, aber humorvolles Plädoyer für die Rechte der Tiere. Ein wirklich außerordentliches Buch! Lesen!
4.Edwin Gantert: Schwarz Wald Weiß, Freiburg 2011
(Mit Textbeiträgen von Karl-Heinz Ott und Bettina Schulte)
(Edition Nachtfalter im jos fritz verlag)
Lange verweilte ich vor der Jos Fritz Buchhandlung, in der die Photographien von Edwin Gantert (oder waren es eher Kalligraphien?) ausgestellt waren. Ein besonderer Blick auf eine bekannte Landschaft: den Schwarzwald. Faszinierende Bilder, die mir Ruhe und beglückende Stille sind. Ich hatte mich sofort in die Bilder verliebt. „Was man sieht, ist ein von seiner erdrückenden Fülle befreiter Schwarzwald.“, so Karl-Heinz Ott im Begleittext zum Bildband. „Auf diesen wie gezeichneten Photographien wird der Schwarzwald trotz seiner Schwärze zum Lichtereignis.“, so Ott weiter. Dem kann ich mit leuchtenden Augen nichts hinzufügen. Ein Band zum Träumen, zum Nachdenken, zum Versinken. Danke, Herr Gantert!
5.Audur Jónsdóttir: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt, München 2011
(Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson)
(btb bei Random House)
In diesem wunderbar komischen, humorvollen, aber auch außerordentlich spannenden, nachdenklichen und aufregenden Buch geht es nicht nur um aberwitzige Verkaufsstrategien der Verlagsbranche für merkwürdige Bücher, aber auch! Aber es geht auch um eine tiefe Freundschaft, um Abhängigkeiten und Befreiung. Liebe, Freundschaft, Spannung – und dann auch noch zum Schreien komisch – was will der Leser mehr?! Und von Kristof Magnusson übersetzt! Und man könnte meinen, daß Jónsdóttir und Magnusson gemeinsame Sache machen. Wunderbar!
Kurz vor Weihnachten heißt es noch einmal „Reiß liest...“.
„Reiß liest...“ am 08.12.2011
Sonntag, 13. November 2011
im